Album: „Baladas Da Luta“ (Boom Jah Records/Horus Music)
Die schweizerische/brasilianische Band ist mit einem starken Album da. Die „Balladen für den Kampf“ sind musikalisch vielseitig, vielleicht als gesamtes unter urbane afro-brasilianische Musik. Die Lyrics hat die Sängerin Mariana Da Cruz geschrieben. Sie sind meist sehr politisch und handeln von den miserablen Zuständen in Brasilien, aber auch am Beispiel Brasilien, wie Armut, Hass und weitere Einflüsse das menschliche Zusammenleben verändern können. Die Musik ist zwischen Afro-brasilianisch, Rap, HipHop, Soul und Disco einzuordnen und tasnzbar. Da Cruz schaffen es schwierige Inhalte locker zu transportieren und trotz Allem eine Lebensfreude zu bewahren und zu verbreiten. Die Kernband besteht neben Mariana Da Cruz aus Ane H. am Programming, dem Gitarristen Oliver Husmann und dem Schlagzeuger Pit Lee. Als Gäste sind der brasilianische Pidgin Rapper Magugu und Arnaldo Antunes zu hören. Es ist ein hochaktuelles und auch musikalisches starkes Album, das unter die haut geht und in die Beine fährt.
Fredi Hallauer
Da die Inhalte der Lieder wichtig sind, aber viele Leute hier das brasilianisch nicht verstehen, hier die Angaben zu den Songs von der Band formuliert.
Serpentes feat. Magugu
Zusammen mit dem britisch-nigerianischen Pidgin-Rap-Guru Magugu ist ein musikalisches und politisches Statement entstanden. „Serpentes“ („Schlangen“) beschreibt die Situation Brasiliens nach vier Jahren unter dem rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro. „Die Gesellschaft ist politisch entzweit, der Umgangston ist rau, die Kulturszene ist traumatisiert“, sagt Mariana Da Cruz. „In diesem Ambiente ist dieses Lied entstanden.“ Es groovt in einem von tiefen, elektronischen Bässen erschütterten Afrobeat. Darüber singt Mariana Da Cruz ein Klagelied über den Zustand der Welt und fordert einen Impfstoff gegen den Hass.
O Corpo
„O Corpo“ ist Da Cruz‘ Beitrag zur Body-Positivity-Debatte. Es ist eine Ode an den eigenen Körper, diese Quelle der Inspiration, diese Schnittstelle zwischen dem Selbst und der Welt.
Der Song kombiniert 70s-Streicher, mit 80er-Jahre Drummachines und brasilianischem Disco-Appeal. Er entstand während einer Jam-Session nach einem Konzert in Madrid.
Das Video enthält Tanzbeiträge von verschiedenen TikTok-Tänzern aus der ganzen Welt.
Novo Mundo feat. Arnaldo Antunes
Wenn bisher von einer «neuen Welt» die Rede war, klang das nach einem Heilsversprechen. Nach etwas, was wir uns aus der Summe unserer Interessen selbst gestalten dürfen. Es klang nach besserer Luft, nach netteren Menschen, nach fortschrittlichen Technologien, nach Evolution und weniger Problemen. Doch in letzter Zeit bedeutet der Begriff “neue Welt” nur noch Spaltung, Intoleranz, irrsinnige Diktatoren, Präsidenten, die Hass und Verachtung schüren. Das balladeske Lied handelt von dieser paradoxen Stimmung, in der wir leben: Fortschritt hat sich ins Gegenteil von dem verwandelt, was wir als eine “bessere Welt” begreifen. Am Ende des Songs, für den Da Cruz Arnaldo Antunes gewinnen konnte – einen der einflussreichsten Musiker der brasilianischen Geschichte -, singt Mariana Da Cruz: “Ich habe an dich geglaubt, neue Welt / Mein Herz rast / Ich habe auf dich gewartet, neue Welt / Ich hatte die Fanfaren schon bestellt.”
Durante a Noite
Der Song ist eine kleine Reminiszenz an den Hip-Hop der Achtzigerjahre. Er handelt von der Liebe in einer immer düster werdenden Welt: “Über Nacht kamen die Erinnerungen / Alle lachten, niemand zweifelte / Über Nacht änderte sich das Klima / Niemand hätte je gedacht, dass es sich zum Schlechten wendet / Über Nacht bist du mir erschienen / Und die Welt leuchtete / Und die Welt leuchtete”.
Liberdade
Man hat in den letzten Jahren viele “Freiheit” rufen gehört. Und nicht alle scheinen den Begriff richtig verstanden zu haben. “Die Freiheit, die ich in diesem Lied preise, ist nicht die Freiheit, die auf Egoismus beruht oder die das Trennende, Abspaltende sucht. Es ist eine Freiheit, die wir als Gesellschaft erlangen, wenn wir solidarisch sind, wenn wir zusammenstehen und die Schwächsten integrieren”, sagt Mariana Da Cruz zu diesem Song, der von einer feierlichen Funkyness, aber auch von einer gewissen Melancholie beseelt ist.
Ninguém Solta
Brasilien hat in den letzten Jahren gleich zwei Seuchen erlebt: Corona und ein Präsident, der ein Klima der Missgunst und des Hasses geschaffen hat. “Ich habe diesen Song im Bewusstsein geschrieben, dass mein Heimatland in dieser Zeit sein Lächeln und seine Unbeschwertheit verloren hat”, sagt Mariana Da Cruz. “Wir werden immer wieder geblendet von Scharlatanen, die uns das schnelle Glück und Prosperität versprechen, und wir erliegen der Versuchung, ihnen zu folgen, obschon wir ihre faulen Tricks durchschauen. Doch wir kommen nur vorwärts, wenn wir uns die Hände geben und gemeinsam für unsere Werte und für Menschlichkeit einstehen.” Davon handelt dieses Lied, das musikalisch Krautrock mit Spaghetti-Western-Gitarren und Psychedelik vermischt.
Lembro Meu Irmão
In der Trauer um ihren verstorbenen Bruder malt Mariana Da Cruz das Sittengemälde eines Landes, das die Schwächsten wie Dreck behandelt. Ein Land, in dem Armut und Ichbezogenheit wie nie zuvor um sich greifen. Ein Land, das die Privilegierten bevorzugt, anstatt jenen Schutz oder zumindest eine Chance zu bieten, die weniger Glück im Leben haben. “Es ist das Lied dieses Albums, das mir am meisten ans Herz geht”, sagt Mariana Da Cruz. Zitat aus dem Refrain: “Ich erinnere mich an meinen Bruder / Der mit blauen Flecken auf dem Boden herumkroch / Um Verzeihung bitten / Verlassen werden / Ohne jeden Schutz”. Stilistisch ist das Lied schwer einzuordnen. Nennen wir es Afro-brasilianische Dubmusik.
Gimme Some Power
“Ich habe diesen Song geschrieben, nachdem ich das Buch “Tagebuch der Armut” von Carolina Maria de Jesus gelesen habe. Eine Frau aus den Favelas von Rio, deren Tagebücher entdeckt und veröffentlicht wurden. Sie geben eine erschütternde Ahnung davon ab, was es bedeutet, in Armut und Hunger zu leben”, sagt Mariana Da Cruz. Unter der Regierung von Jair Bolsonaro ist Brasilien wieder auf die internationale Karte des Hungers zurückgekehrt. 27 Millionen Menschen leben in Armut, die meisten davon gehören nicht zur alten, weissen Minderheit, die dieses Land regiert. “Gimme Some Power” sei ein Schrei der Verzweiflung, sagt Mariana Da Cruz.
Bate Panela
Es ist ein Geräusch, das man in Brasilien in den letzten vier Jahren öfters hörte: Menschen traten auf ihre Balkone und schlugen auf ihre Pfannen. Lärm gegen eine Regierung, die alle bisherigen Anstrengungen rückgängig gemacht hat, Brasilien gerechter, geeinter und toleranter zu machen. Da Cruz haben diesen Sound hier aufgegriffen. Das Lied handelt vom Schmerz und von der Wut eines Menschen, dessen Werte und dessen afro-brasilianische Geschichte von einer zynischen Regierung lächerlich gemacht werden. „Oh mein Gott! Dieser kulturelle Abgrund muss ein Ende haben“, singt Mariana Da Cruz am Ende dieses rauschhaften und kräftig groovenden Songs, der stilistisch zwischen Afrika, Europa und Brasilien pendelt – urban, inbrünstig und gegen Schluss von einem fast schon spöttischen Furor getrieben.
Falar Serio
Ein Liebeslied in souligem Duktus. Es geht der Frage nach, was die Liebe für eine Chance hat, wenn um einen herum ein Sturm des Wahnsinns wütet.
Apenas 150 Anos
“Diesen Song habe ich nach einem Besuch in Rio geschrieben. Es gibt dort einen Platz, zu dem früher die afrikanischen Arbeiter gebracht wurden, um dann als Sklaven verkauft zu werden. Wenn wir über diese Zeit sprechen, denken wir immer, dass dies in dunkler Vergangenheit geschehen ist. Dabei ist es bloss 150 Jahre her.” Davon handelt dieser zornige Hip-Hop-Song. Mariana singt: “Der Geist der alten Tage ist noch in euren Köpfen / So habt ihr eure Welt aufgebaut / Und gleichzeitig unsere zerstört”.